Während sich andere Teenager Gedanken um ihre Zukunft machen und sich ihr Leben als Erwachsene ausmalen, hatte die 17-jährige Noa Pothoven immer nur einen Wunsch: zu sterben. Ihr letzter Wunsch ging letzten Sonntag im Kreise ihrer Familie in Erfüllung.
Die Jugendliche hatte oft erfolglos versucht, sich selbst das Leben zu nehmen. Noa litt an schweren Depressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen, Magersucht und verletzte sich selbst.
Der Grund für ihre inneren Qualen: Mit 11 und 12 Jahren war das Mädchen aus Arnheim bei Kindergeburtstagen missbraucht worden. Mit 14 Jahren wurde sie auf dem Nachhauseweg von zwei Männern vergewaltigt.
Jahrelang wagte sie es nicht, sich jemandem anzuvertrauen. Mit 16 beschließt die Niederländerin jedoch, an die Öffentlichkeit zu gehen, und veröffentlicht das Buch „Gewinnen oder Lernen“, das ihr Missbrauchs-Trauma thematisiert. „Aus Angst und Scham erlebe ich jeden Tag die Angst und den Schmerz. Immer verängstigt, immer auf der Hut. Und bis heute fühlt sich mein Körper immer noch schmutzig an“, schildert der Teenager sein Martyrium.
Noas Eltern versuchen alles, um ihrer Tochter zu helfen, bringen sie in mehreren Einrichtungen zur psychischen Behandlung unter, lassen sie sogar ins künstliche Koma versetzen, um das magersüchtige und gefährlich untergewichtige Mädchen über eine Sonde zu ernähren. Doch der Teenager kann dem unerträglichen Leid nicht mehr standhalten. Noa entscheidet sich bewusst dafür, nicht mehr weiterzuleben, und sucht zunächst ohne das Wissen ihrer Eltern Rat bei einer Sterbeklinik in Den Haag.
In den Niederlanden ist die aktive Sterbehilfe seit dem Jahr 2001 legal. Auch Minderjährige dürfen um Hilfe bei der Selbsttötung bitten, ganz ohne Zustimmung der Eltern. Zwei unabhängige Ärzte müssen jedoch darüber übereinkommen, dass alle Behandlungsmethoden ausgeschöpft sind und es keine Hoffnung auf Besserung gibt. Allerdings wird Noas Gesuch nach assistiertem Suizid abgelehnt.
„Sie meinten, ich sei zu jung zum Sterben“, erzählt die Jugendliche im Dezember letzten Jahres in einem Gespräch mit der Zeitung „de Gelderlander“. „Sie meinen, ich solle meine Trauma-Behandlung weiter fortsetzen und dass mein Hirn zunächst völlig ausgewachsen sein müsse. Das kann bis zum 21. Lebensjahr dauern. Die Nachricht hat mich innerlich zerbrochen. Ich kann nicht solange warten.“
Noa beschließt, sämtliche Behandlungen abzubrechen. Ihr Krankenbett wird in ihr Elternhaus verlegt. Die 17-Jährige verweigert jegliches Essen und Flüssigkeiten. Ein langfristiges Todesurteil. Und auch ihre Eltern und Pfleger stimmen zu, sie nicht mehr zwangszuernähren. In einem Instagram-Post teilt Noa letztendlich ihre Entscheidung mit der Welt: „Ich habe lange überlegt, ob ich das teilen soll oder nicht, aber ich habe mich trotzdem dazu entschlossen. Innerhalb von maximal 10 Tagen werde ich sterben.
Ich habe vor einer Weile aufgehört zu essen und zu trinken und nach vielen Diskussionen und Bewertungen wurde beschlossen, mich gehen zu lassen, weil mein Leiden unerträglich ist. Nach Jahren des Kämpfens ist es vorbei. Das war schon lange mein Plan und geschieht nicht aus einem Impuls heraus. Nach Jahren des Kämpfens und Immer-wieder-Kämpfens bin ich erschöpft. Ich atme, aber ich lebe schon lange nicht mehr.“
Am 2. Juni stirbt Noa im Beisein ihrer Angehörigen. Bereits zuvor hat sie sich von Familie und Freunden verabschiedet. Ihre Tochter gehen lassen zu müssen, ist wohl das Schwerste, was ihre Eltern je tun mussten.
Noch vor wenigen Monaten erzählte Noas Mutter der Zeitung „de Gelderlander“: „Noa will dieses Leben nicht mehr. Wir haben solche Angst, dass die Tür des Lebens sich ihr schließen wird. Sie wählt, wie es jetzt aussieht, den Weg zum Tod. Wir sind uneins miteinander. Wir, ihre Eltern, möchten, dass sie den Weg des Lebens wählt. Noa will wirklich gar nicht sterben. Sie sehnt sich nur nach Frieden.“
Doch für einen Außenstehenden ist es schier unmöglich, sich in das Mädchen hineinzuversetzen. Welch innerem Schmerz sie ausgesetzt gewesen sein muss, um den Tod als einzige Lösung zu sehen. Und manchmal ist es leichter, jemanden loszulassen, als ihn täglich leiden zu sehen.
„Liebe ist Loslassen“– dies sind auch die allerletzten Worte, die Noa postet. Hoffentlich hat sie nun den Frieden gefunden, nach dem sie sich gesehnt hat.
Wer unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leidet oder jemanden kennt, der daran leidet, kann sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie ist erreichbar unter der Telefonnummer 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.